"Links", "rechts" - diese Unterscheidung wird täglich dümmer. Wer kommt noch mit ihr aus? Eine Periode des Gemeinplatzbebens in der Politik hat begonnen; und nur die verrostetsten Seismographen melden nichts. Verkaufen wir sie als Altblech nach dem Mond! Also sprach Börne: "Wie es unter einer Million Menschen nur tausend Denker gibt, so gibt es unter tausend Denkern nur einen Selbstdenker." Der Satz ist hundertundneun Jahre alt und dennoch so frisch, als wäre er eben vom Baum gepflückt. Er findet sich in demselben Kapitel der ‚Vermischten Aufsätze, Erzählungen, Reisen', das die ergreifende Stelle enthält: "Aber das Vaterland der Gedanken ist das Herz" und den unheimlich aktuellen Passus: "Eine schimpfliche Feigheit zu denken hält uns Alle zurück. Drückender als die Zensur der Regierungen ist die Zensur, welche die öffentliche Meinung über unsere Geisteswerke ausübt. Nicht an Geist - an Charakter mangelt es den meisten Schriftstellern ..." Seitenlang möchte man zitieren. Unter den Denkern der deutschen Vergangenheit die tüchtigsten, nämlich die tiefsten, redlichsten, schärfsten und hellsten, sind heute so gut wie ausser Mode: die Kant, Lessing, Lichtenberg, Friedrich Schlegel, Fries, Schopenhauer, Börne - während hoch im Kurs alle denkerische Impotenz und Scharlatanerie steht: Magiertum und Hegelei (ihr Negativ eingeschlossen). Zwischen Mystizismus und Materialismus führt, fast auf verlornem Posten, der Kritizismus seinen heroischen Zweifrontenkrieg; keine Kraft unter den Kräften des Menschen wird vom Pöbel aller Lager heute in gleichem Grade geschmäht und gelästert wie die Vernunft. Sie wird obsiegen; aber gegenwärtig wandelt sie den Kreuzesweg.
Börne also, über das Denken ... ich unterbrach mich, wollte fragen: Wer taugt mehr, ein kommunistischer Nichtdenker oder ein nationalistischer Selbstdenker? Möge Jeder diese Frage nach seinem Privatgeschmack beantworten (oder besser: nach andern Kriterien als denen des Geschmacks); allgemeingültig scheint mir zu sein, dass Selbstdenker, mögen sie auftauchen in welcher politischen Gegend auch immer, ernster Beachtung wert sind - zumindest in einer Epoche, deren herrschende Politik-Gruppen ein so erbärmliches intellektuelles Niveau zeigen (und daher so schaurige Resultate hervorbringen) wie die grossen Parteien in diesem Deutschland: jene alten Vereine, die sich in das Gesetzgebungsmonopol teilen, und jene jüngeren, ebenso fragwürdigen, die es ihnen entreissen wollen.
Vor fünf Jahren schrieb ich hier über die "Neuen Nationalisten", die Leute um Schauwecker. Sie waren wirklich neuartig, auf ihre Weise durchgeistet, keine Stammtischpatrioten, keine schwarzweissroten Rauschebärte; der für unsereinen interessanteste Abseiterkreis des Nationalismus sind sie indes heut längst nicht mehr - schon weil das Häuflein zersprengt, der Block zerstäubt scheint, die Atome verweht, neugebunden.
Und Otto der Strasser? Ein aus bemerkenswert saubern Gründen von Hitler Gewichener, die Sensation dreier Wochen - von ernsterer Bedeutung und Zukunft schwerlich, weder er noch seine Kohorte. Dass sie klein ist, bleibt belangarm; Quantitäten haben in der Kulturgeschichte noch niemals die Entscheidung gebracht. Aber da wogt alles zu gallertig; diese Mannen haben Mythos und Mystik mit Suppenkellen gegessen; statt Hosen haben sie Irrationalismus an; gehn sie im Felde des Geistes spazieren, dann blubberts und triefts; wer Kant gelernt hat, wer trocknes Denken mag (Trocknes kann knistern; siehe Seide, siehe Katzenfelle), wer Randschärfe der Begriffe liebt, dem ist dieser Stil zu feucht, zu weich, zu schlaff. "Tiefe"? Tüfe! - da es die Talmi-Tiefe Derer ist, die weder den gesammelten Geist der Vorwelt im Blute haben noch mit der Kraft gesegnet sind, selbständig einen Gedanken zuende zu denken; die zwischen Spiessertrivialheit und letzter, feinster, klarster Erkenntnis auf halbem Wege im Schlamm stecken bleiben. O, ihr den Begriffsglibber Ernstnehmenden, den anspruchsvoll-ideologischen Glitschkitsch, o Hörige milchig-trüber, wolkiger, scheintiefer Fühldenkerei -: dass man vom Spiegel eines Gewässers nicht bis auf den Grund hinabsehen kann, diese Eigenschaft teilt der Ozean mit der Pfütze; also schliesse man von Undurchsichtigkeit nicht gleich auf Ozean! Umgekehrt wieder wird der Schluss, was klar ist, müsse flach sein, durch manchen Bergsee widerlegt; nur Kinder verkennen, dass die bunten Kiesel, die man durch den Azur seines Wassers wie zum Greifen nahe schaut, oft in gefährlicher Tiefe ruhn.
Soviel über Strasser (Otto). Es trifft aber, zu einem Bruchteil wenigstens, auch auf jene Nationalistengruppe zu, die heute vor den andern Aufmerksamkeit für sich beanspruchen darf: die Gruppe um Karl O. Paetel. Selbstgefällig-unzulängliche Mystagogie (erklärlich durch die Herkunft aus rechtsgerichteter Jugendbewegung, aus Metawandervogelphysik, "bündischer") mischt sich da mit rühmlich energischem Willen, zur Klarheit vorzustossen - zu einer Klarheit, die nicht simpel sondern komplex ist; die, ohne vom Goldkern des Nation-Erlebnisses einen Deut preiszugeben (welches ja nur Seelenkrüppeln fremd bleibt), sozialistisch-revolutionäre Erkenntnis wird. Flachköpfe pflegen in der Vollziehung einer Synthese die Vernachlässigung eines Widerspruchs zu erblicken; solcher Missdeutung setzt gerade die Paeteldoktrin sich furchtlos aus. Da ihr Nationalismus von der Rassentheorie, vom zoologischen Stumpfsinn genesen und zu seelisch-geistigen Kriterien entschlossen scheint, da andrerseits ihr Sozialismus - nicht als "Religion", aber als Prinzip ökonomischer Organisation - ehrlich und echt ist (was sich in unzweideutiger Option für Sowjetrussland zeigt, als bedingungslos zu schützende Vormacht der Zukunftskultur: ein Faktor, an dem alle Aussenpolitik zu orientieren sei), so würde nicht nur Böswilligkeit dazu gehören, den Paetelkreis mit den Nationalsozialisten zusammenzuwerfen, sondern auch Blindheit, zu übersehen, dass er in schärfstem Gegensatz zu ihnen steht. Denn der Nationalismus der Nationalsozialisten ist dezidiert zoologisch und ihr "Sozialismus" offen antibolschewistisch.
Nun hat die Kommunistische Partei Deutschlands, wie man weiss, seit etwa zwei Jahren eine starke Wendung zum Nationalismus vollzogen ("nationale und soziale Befreiung", "Volksrevolution", Scheringer), und die Frage liegt nahe, was denn die "sozialrevolutionären Nationalisten" um Paetel von unsern nationalrevolutionär gestimmten Kommunisten unterscheidet. Etwas sehr Wichtiges! Nämlich, dass bei den Paetel-Leuten ein (durchaus willensechter) sozialistischer Revolutionarismus frei von allem materialistischen Abrakadabra, sogar in bewusster Opposition zur materialistischen Geisteskrankheit, auftritt - ein Punkt, in dem sich die Sozialrevolutionären Nationalisten mit den Revolutionären Pazifisten berühren und mit dem ISK. Die ideologische Grundlage des kommenden, verwirklichenden Sozialismus Europas ist antimaterialistisch (Mut! neo-idealistisch); auch in Russland wird der Sozialismus auf Generationen lebensfähig nur dann sein, wenn er sich von der materialistischen Basis löst. Man braucht bloss eine Rede Stalins zu lesen, um festzustellen, dass er in Wahrheit längst dabei ist. Aber er weiss es nicht. Alle Realisierungsschwierigkeit und -langsamkeit der sozialistischen Bewegung, alle ihre Irrungen und Entzweiungen, aller Misserfolg ihrer Propaganda, all ihre deprimierenden Vergeblichkeiten (bei phantastisch chancenreicher objektiver Situation: jeder dritte Deutsche erwerbslos!) beruhen auf der im Fundament falschen, im Keim vergifteten sozialistischen Theorie. Das wusste als Erster Gustav Landauer; in seinem Aufruf zum Sozialismus gab ers vor einundzwanzig Jahren kund; heute ist dies Wissen (welches sich in einem Nebensatze nicht begründen lässt) schon Gemeingut Vieler; sie sind die Vorbereiter des sozialistischen Aufschwungs von morgen.
Demnach stehen die Paetel-Sozialisten, so sehr sie vom Nationalismus, von etwas zu Überwindendem, kommen, mit der Zukunft enger im Bunde als das marxistische Gros - eine Tatsache, die uns verpflichtet, der Entwicklung dieser Gruppe mit erheblicher Aufmerksamkeit zu folgen. Mit einer Aufmerksamkeit, versteht sich, die nur kritisch sein kann.
Die Gruppe publiziert gegenwärtig in der ‚Sozialistischen Nation', einem unregelmässig erscheinenden Blättchen, das Schwierigkeiten hat, weil es Linie hat. Dünkel arrivierter Schöngeister, die auf gesicherten Tribünen geistreich Halbverbindliches äussern, wäre dieser Erscheinung gegenüber recht unangebracht. Ich empfehle Respekt vor einer von den notierten Doktrinen scharf abweichenden, antivulgären Gesinnung, die ohne Konzession und Aufweichung ihres Profils sich publizistisch durchzusetzen sucht.
Übrigens nicht die bisher erschienenen Nummern der ‚Sozialistischen Nation' sollen der Kritik zugrundegelegt werden sondern zwei Duodezbändchen, die Paetel herausgab: ‚Das geistige Gesicht der nationalen Jugend' und ‚Sozialrevolutionärer Nationalismus' (beide erschienen im Verlag Die Kommenden, Flarchheim in Thüringen).
Die erste der beiden Schriften führt die Scheidung von konservativem und sozialistischem Nationalismus folgerichtig durch. Wir sind mit Paetel in der Ablehnung des konservativen Nationalismus einig. Sein sozialistischer freilich, scheint uns, trägt noch Eierschalen des konservativen am Flaum. Schaurige Expektorationen des grotesk überschätzten Herrn Ernst Jünger werden zitiert, aber nicht abgelehnt. Etwa: "Der Krieg ist ein Erlebnis des Blutes". "Was unsere Literaten und Intellektuellen darüber zu sagen haben, ist für uns ohne Belang." "Er mag die Hölle gewesen sein - nun gut, es liegt im Wesen des faustischen Menschen, auch aus der Hölle nicht mit leeren Händen wiederzukehren." Ich werfe Paeteln vor, der schändlichen Frivolität, die hier feixt, nicht Einhalt geboten zu haben. Es musste, wenn man so dreiste und seichte Sätze überhaupt abdruckt, unbedingt gesagt werden: erstens, dass den Krieg der Umstand nicht rechtfertigt, dass er "erlebt" werden kann, sintemalen auch Feuersbrunst, Lustmord und Raubmord erlebbar sind; zweitens, dass Herr Jünger ja selber Literat ist und selber Intellektueller, wenngleich kein sonderlich intelligenter; so dass seine These ihn selber ohrfeigt; drittens, dass es keineswegs im Wesen des faustischen Menschen liegt, aus der Hölle des Krieges überhaupt wiederzukehren. Wiederkehr ist ein Glücksfall und beweist weder Heroen- noch Fausttum. Gewiss verdient Herrn Jüngers Bekenntnis Beachtung: "Wir Nationalisten wünschen nicht zum zweiten Male mit dem Kapital in einer Front zu stehen"; aber wenn er fortfährt: sein Kreis stünde "auf der Seite des widerstandswilligen Proletariats", "um der Nation, nicht um irgendwelcher humanitärer Beglückungsideen willen", so muss dieser Antibeglücker, dieser ausgesprochene Unmensch gefragt werden, ob denn zu seinem Ideal von Nation gehört, dass ihre Mitglieder glücklos sind. Ich plädiere dafür, dass allgemein aufgehört werde, sadomasochistische Sublimationen als Politik hinzunehmen.
Es erfreut, wenn Paetel ausspricht, dass die "rein haltungsmässige Bejahung des Sozialismus" "auch zu ganz bestimmten politischen Folgerungen" führt, "zu Berührungspunkten mit linksrevolutionärer sozialistischer Jugend" und "zu deutlichen Abgrenzungen gegenüber den politischen Einstellungen des Bürgertums"; man applaudiert, wenn man liest: "Entscheidungen müssen innerhalb der nationalen Jugend zweifellos fallen. Sie werden fallen müssen an der Fragengruppe des Sozialismus" - aber zu dieser "Fragengruppe" gehört auch die Frage des Kriegs. Sie ist, daran gibts kein Rütteln, mit einem prinzipiellen (wenn auch nicht quäkerisch "absoluten") Nein zu beantworten. Von diesem Nein fehlt in Paetels Schriften der Hauch eines auch nur fernen Klangs. Mit der "entschiedenen Ablehnung des liberalistischen Individualismus" wird ja alles Freiheitsstreben des Menschen gedrosselt, das Ewige, Heilige, Prometheische in uns, wird die seit Jahrtausenden unter furchtbaren Opfern vorwärtsschreitende Emanzipation des Individuums gehemmt, wird der Begriff des Kollektivismus über die ökonomisch-strukturelle Sphäre hinaus reaktionär erweitert. Die Freiheit der Ausbeutung aufheben und die Freiheit der Lebensgestaltung herstellen - das ist kein Widerspruch sondern ergänzt sich. In wahrem Sozialismus ist wahrer Liberalismus enthalten, wahrer Individualismus erfüllt. Weil der Manchester-Liberalismus die Freiheit Weniger durch die grausame Unfreiheit der Meisten erkauft - ein Zustand, den die sozialistische Revolution beseitigen will und soll -, darum ist Freiheit (jenseits der Wirtschaft) längst nicht erledigt. Wenn Lenin sie ein bürgerliches Vorurteil gescholten hat, so beweist das vielleicht etwas gegen Lenin und die Zulänglichkeit seines Philosophierens, es beweist nichts gegen die Freiheit. Wir werden uns von dem modernsten Schimpfwort "liberalistisch" nicht ins Bockshorn jagen lassen; wohlgemerkt: als Sozialist sag ich das! Als Sozialist, der weiss, dass Liberalismus ein Doppelgesicht hat; das vordere (kulturelle) bleibt zu liebkosen, auch wenn das hintere (ökonomische) zu züchtigen ist.
Man darf sogar sagen, dass erst die Negation des ökonomischen Liberalismus den kulturellen zur Verwirklichung bringen kann. Erst der Welt-Sozialismus, zum Beispiel, wird den Welt-Frieden schaffen: die Belehnung aller Individuen mit dem Recht auf Leben. Deswegen ists in der Ordnung, wenn - in dem zweiten dieser Bändchen (einer Sammelschrift) - Heinz Gollong seiner Gruppe rät, sich keineswegs zu rühmen, "den Pazifismus überwunden zu haben"; womit er ihm freilich kaum ein Lob erteilen will. Doch er bleibt unüberwindlich! Dass Menschen einander nicht mehr töten sollen: in Ewigkeit sittliches Ziel. Es erkennen und ihm entgegenschreiten - nichts andres ist Pazifismus. Ihr könnt die Träger dieser Idee berennen (ich helfe in manchem Falle); die Idee nicht. Die Idee nicht, ohne euch einer Sünde wider den Geist schuldig zu machen. Gerade ihr müsstet begreifen, dass an der Verewigung des Tötens zu arbeiten irreligiös ist. Ihr müsst also auch aufhören, euer Nationalbewusstsein mit einem "einschränkungslosen Bekenntnis zur Wehrhaftigkeit" zu identifizieren, wie Gollong das leider tut - sonst der feinste Kopf dieses Kreises.
"Wehrhaftigkeit" gegen wen? für wen? für was? ein "einschränkungsloses Bekenntnis"? im Zeitalter des staatlich organisierten Massenmords durch Giftgas und Bakterien? Es liegt wohl Lebensvolles und Schönes darin, mit dem Blut zu denken, mit den Muskeln zu denken, mit den Hoden zu denken; man soll aber, schlag ich vor, nicht ganz darauf verzichten, auch mit dem Gehirn zu denken. (Jüngstes, das ich von Gollong las, beweist, dass gerade er dies vorbildlich kann. Rapide Entwicklung! Übrigens verliess er die Paetelgruppe.)
Ein prachtvolles Wort steht in dem Büchlein: "Ja manchmal will uns scheinen, als hätte die Nation ... weniger wirkliche Werte verloren und mehr wirklich Wertvolles gewonnen, wenn Liebknechts schäumende Heftigkeit und sein Einfluss auf die Massen und das Ausland an leitender Stelle sich hätte auswirken können. Wenn sich der Kern der Intelligenz entschlossen auf seine Seite warf, wenn das Offizierkorps im Antimilitaristen die Kampfesnatur erkannte, hätte sich die chaotische Zeit schnell überwinden und zur Volkserhebung umbilden lassen." Wer solche Sätze druckt, hat nichts mehr gemein mit dem Mordpack, das Jenen fällte.
Ausgezeichnet klar Karl Baumann (linker Flügelmann): "Ablösung der kapitalistischen Ordnung durch den sozialistischen Aufbau. Die Verteidigung dieses Aufbaus mit allen Mitteln nach innen und aussen." Das ist eine eingeschränkte "Wehrhaftigkeit", und zwar eine richtig eingeschränkte. Vorzüglich gedacht auch dies: "NSDAP und KPD heben durch ihren Kampf untereinander ihre Kraft auf. Ihr Kampf gibt dem Bürgerstaat und der Bourgeoisie das Gleichgewicht." (Dieser Baumann soll neuerdings zur KPD abgeschwenkt sein. Gewiss nicht er nur. Auch zu Hitler wird mancher sich inzwischen gerettet haben. Die Fluktuation der Personen besagt nichts gegen den Wert der Gruppe, solange sie in einer Führerpersönlichkeit den ruhenden Pol hat.)
Georg Osten, Rolf Becker, Fred Schmidt - auch sie arbeiten hier an der Herausmeisselung der reinen Dualität der Klassenfronten; obschon Einigen von ihnen der Klassenkampf ganz offenkundig nur Mittel zum Zweck der nationalen Befreiung ist und ihre Verbindung mit dem proletarischen Revolutionarismus mehr einer Verstandes- als einer Liebesheirat gleicht. Scheringer - für dessen Befreiung ich manifestiere, auch wenn ich seine Meinung nicht teile - schrieb am 8. 4. 31 an den Generalleutnant Dieterich: "Es gilt, die revolutionären Kräfte des Volkes zu sammeln, die Armee der Arbeiter, Bauern und Soldaten zu formieren und den Befreiungskrieg über die Trümmer der Weimarer Republik nach Westen zu tragen." Dies Bekenntnis eines Kommunisten geht, was seinen Gehalt an offensivem Nationalbellizismus anlangt, immerhin erheblich hinaus über die saftigsten Sätze des Paetelbreviers.
Dieses (abgerechnet die Schwafler und Glibberer: F. Wulf, Alwiss Rosenberg) bleibt die Kundgebung redlichen Ringens jugendhaft-feuriger, jugendhaft-ernster Naturen ... um den rechten Weg, nämlich den linken.
All das ist noch unfertig, wird noch, wächst noch. Unsereiner soll da, scheint mir, ohne Hochmut helfen; soll an Menschen, die selber zu denken gewohnt und, im Gegensatz zu den Marxklerikern, den Gedanken Andrer geöffnet sind, keine gebosselten Dogmen herantragen: friss, Paetel, oder stirb! Nein, so nicht; sondern: (ohne Kompromiss) in Kameradschaft diskutieren. Befürworte ich eine irenische Aufweichung unsres Kämpferknochengerüstes? Wers glaubt, wird selig. Aber von Zeit zu Zeit empfiehlt sich, allerseits, eine Revision der Riten. Und man vergesse nie, zu forschen: wo steckt im Gegner der Freund? Ich fühle mich Jedem brüderlich verbunden, der sich als rein, wahrhaftig, unabhängig, unbestechlich, als Diener am Geiste erweist; der aufrecht, doch unstarr schreitet, weil er an keine versteinerte Doktrin gefesselt ist; der den Klassenkampf auf der Seite der unterdrückten Klasse kämpft, vielmehr diese Klasse aus ihrer Zerklüftung zur Einheit, zu wirklichem Kampfe, zum Siege zu erlösen strebt; der aber weiss, dass der Prolet noch andres ist als Prolet, dass es heilige Ziele gibt noch jenseits des Klassenkampfs.
Börne also, über das Denken ... ich unterbrach mich, wollte fragen: Wer taugt mehr, ein kommunistischer Nichtdenker oder ein nationalistischer Selbstdenker? Möge Jeder diese Frage nach seinem Privatgeschmack beantworten (oder besser: nach andern Kriterien als denen des Geschmacks); allgemeingültig scheint mir zu sein, dass Selbstdenker, mögen sie auftauchen in welcher politischen Gegend auch immer, ernster Beachtung wert sind - zumindest in einer Epoche, deren herrschende Politik-Gruppen ein so erbärmliches intellektuelles Niveau zeigen (und daher so schaurige Resultate hervorbringen) wie die grossen Parteien in diesem Deutschland: jene alten Vereine, die sich in das Gesetzgebungsmonopol teilen, und jene jüngeren, ebenso fragwürdigen, die es ihnen entreissen wollen.
Vor fünf Jahren schrieb ich hier über die "Neuen Nationalisten", die Leute um Schauwecker. Sie waren wirklich neuartig, auf ihre Weise durchgeistet, keine Stammtischpatrioten, keine schwarzweissroten Rauschebärte; der für unsereinen interessanteste Abseiterkreis des Nationalismus sind sie indes heut längst nicht mehr - schon weil das Häuflein zersprengt, der Block zerstäubt scheint, die Atome verweht, neugebunden.
Und Otto der Strasser? Ein aus bemerkenswert saubern Gründen von Hitler Gewichener, die Sensation dreier Wochen - von ernsterer Bedeutung und Zukunft schwerlich, weder er noch seine Kohorte. Dass sie klein ist, bleibt belangarm; Quantitäten haben in der Kulturgeschichte noch niemals die Entscheidung gebracht. Aber da wogt alles zu gallertig; diese Mannen haben Mythos und Mystik mit Suppenkellen gegessen; statt Hosen haben sie Irrationalismus an; gehn sie im Felde des Geistes spazieren, dann blubberts und triefts; wer Kant gelernt hat, wer trocknes Denken mag (Trocknes kann knistern; siehe Seide, siehe Katzenfelle), wer Randschärfe der Begriffe liebt, dem ist dieser Stil zu feucht, zu weich, zu schlaff. "Tiefe"? Tüfe! - da es die Talmi-Tiefe Derer ist, die weder den gesammelten Geist der Vorwelt im Blute haben noch mit der Kraft gesegnet sind, selbständig einen Gedanken zuende zu denken; die zwischen Spiessertrivialheit und letzter, feinster, klarster Erkenntnis auf halbem Wege im Schlamm stecken bleiben. O, ihr den Begriffsglibber Ernstnehmenden, den anspruchsvoll-ideologischen Glitschkitsch, o Hörige milchig-trüber, wolkiger, scheintiefer Fühldenkerei -: dass man vom Spiegel eines Gewässers nicht bis auf den Grund hinabsehen kann, diese Eigenschaft teilt der Ozean mit der Pfütze; also schliesse man von Undurchsichtigkeit nicht gleich auf Ozean! Umgekehrt wieder wird der Schluss, was klar ist, müsse flach sein, durch manchen Bergsee widerlegt; nur Kinder verkennen, dass die bunten Kiesel, die man durch den Azur seines Wassers wie zum Greifen nahe schaut, oft in gefährlicher Tiefe ruhn.
Soviel über Strasser (Otto). Es trifft aber, zu einem Bruchteil wenigstens, auch auf jene Nationalistengruppe zu, die heute vor den andern Aufmerksamkeit für sich beanspruchen darf: die Gruppe um Karl O. Paetel. Selbstgefällig-unzulängliche Mystagogie (erklärlich durch die Herkunft aus rechtsgerichteter Jugendbewegung, aus Metawandervogelphysik, "bündischer") mischt sich da mit rühmlich energischem Willen, zur Klarheit vorzustossen - zu einer Klarheit, die nicht simpel sondern komplex ist; die, ohne vom Goldkern des Nation-Erlebnisses einen Deut preiszugeben (welches ja nur Seelenkrüppeln fremd bleibt), sozialistisch-revolutionäre Erkenntnis wird. Flachköpfe pflegen in der Vollziehung einer Synthese die Vernachlässigung eines Widerspruchs zu erblicken; solcher Missdeutung setzt gerade die Paeteldoktrin sich furchtlos aus. Da ihr Nationalismus von der Rassentheorie, vom zoologischen Stumpfsinn genesen und zu seelisch-geistigen Kriterien entschlossen scheint, da andrerseits ihr Sozialismus - nicht als "Religion", aber als Prinzip ökonomischer Organisation - ehrlich und echt ist (was sich in unzweideutiger Option für Sowjetrussland zeigt, als bedingungslos zu schützende Vormacht der Zukunftskultur: ein Faktor, an dem alle Aussenpolitik zu orientieren sei), so würde nicht nur Böswilligkeit dazu gehören, den Paetelkreis mit den Nationalsozialisten zusammenzuwerfen, sondern auch Blindheit, zu übersehen, dass er in schärfstem Gegensatz zu ihnen steht. Denn der Nationalismus der Nationalsozialisten ist dezidiert zoologisch und ihr "Sozialismus" offen antibolschewistisch.
Nun hat die Kommunistische Partei Deutschlands, wie man weiss, seit etwa zwei Jahren eine starke Wendung zum Nationalismus vollzogen ("nationale und soziale Befreiung", "Volksrevolution", Scheringer), und die Frage liegt nahe, was denn die "sozialrevolutionären Nationalisten" um Paetel von unsern nationalrevolutionär gestimmten Kommunisten unterscheidet. Etwas sehr Wichtiges! Nämlich, dass bei den Paetel-Leuten ein (durchaus willensechter) sozialistischer Revolutionarismus frei von allem materialistischen Abrakadabra, sogar in bewusster Opposition zur materialistischen Geisteskrankheit, auftritt - ein Punkt, in dem sich die Sozialrevolutionären Nationalisten mit den Revolutionären Pazifisten berühren und mit dem ISK. Die ideologische Grundlage des kommenden, verwirklichenden Sozialismus Europas ist antimaterialistisch (Mut! neo-idealistisch); auch in Russland wird der Sozialismus auf Generationen lebensfähig nur dann sein, wenn er sich von der materialistischen Basis löst. Man braucht bloss eine Rede Stalins zu lesen, um festzustellen, dass er in Wahrheit längst dabei ist. Aber er weiss es nicht. Alle Realisierungsschwierigkeit und -langsamkeit der sozialistischen Bewegung, alle ihre Irrungen und Entzweiungen, aller Misserfolg ihrer Propaganda, all ihre deprimierenden Vergeblichkeiten (bei phantastisch chancenreicher objektiver Situation: jeder dritte Deutsche erwerbslos!) beruhen auf der im Fundament falschen, im Keim vergifteten sozialistischen Theorie. Das wusste als Erster Gustav Landauer; in seinem Aufruf zum Sozialismus gab ers vor einundzwanzig Jahren kund; heute ist dies Wissen (welches sich in einem Nebensatze nicht begründen lässt) schon Gemeingut Vieler; sie sind die Vorbereiter des sozialistischen Aufschwungs von morgen.
Demnach stehen die Paetel-Sozialisten, so sehr sie vom Nationalismus, von etwas zu Überwindendem, kommen, mit der Zukunft enger im Bunde als das marxistische Gros - eine Tatsache, die uns verpflichtet, der Entwicklung dieser Gruppe mit erheblicher Aufmerksamkeit zu folgen. Mit einer Aufmerksamkeit, versteht sich, die nur kritisch sein kann.
Die Gruppe publiziert gegenwärtig in der ‚Sozialistischen Nation', einem unregelmässig erscheinenden Blättchen, das Schwierigkeiten hat, weil es Linie hat. Dünkel arrivierter Schöngeister, die auf gesicherten Tribünen geistreich Halbverbindliches äussern, wäre dieser Erscheinung gegenüber recht unangebracht. Ich empfehle Respekt vor einer von den notierten Doktrinen scharf abweichenden, antivulgären Gesinnung, die ohne Konzession und Aufweichung ihres Profils sich publizistisch durchzusetzen sucht.
Übrigens nicht die bisher erschienenen Nummern der ‚Sozialistischen Nation' sollen der Kritik zugrundegelegt werden sondern zwei Duodezbändchen, die Paetel herausgab: ‚Das geistige Gesicht der nationalen Jugend' und ‚Sozialrevolutionärer Nationalismus' (beide erschienen im Verlag Die Kommenden, Flarchheim in Thüringen).
Die erste der beiden Schriften führt die Scheidung von konservativem und sozialistischem Nationalismus folgerichtig durch. Wir sind mit Paetel in der Ablehnung des konservativen Nationalismus einig. Sein sozialistischer freilich, scheint uns, trägt noch Eierschalen des konservativen am Flaum. Schaurige Expektorationen des grotesk überschätzten Herrn Ernst Jünger werden zitiert, aber nicht abgelehnt. Etwa: "Der Krieg ist ein Erlebnis des Blutes". "Was unsere Literaten und Intellektuellen darüber zu sagen haben, ist für uns ohne Belang." "Er mag die Hölle gewesen sein - nun gut, es liegt im Wesen des faustischen Menschen, auch aus der Hölle nicht mit leeren Händen wiederzukehren." Ich werfe Paeteln vor, der schändlichen Frivolität, die hier feixt, nicht Einhalt geboten zu haben. Es musste, wenn man so dreiste und seichte Sätze überhaupt abdruckt, unbedingt gesagt werden: erstens, dass den Krieg der Umstand nicht rechtfertigt, dass er "erlebt" werden kann, sintemalen auch Feuersbrunst, Lustmord und Raubmord erlebbar sind; zweitens, dass Herr Jünger ja selber Literat ist und selber Intellektueller, wenngleich kein sonderlich intelligenter; so dass seine These ihn selber ohrfeigt; drittens, dass es keineswegs im Wesen des faustischen Menschen liegt, aus der Hölle des Krieges überhaupt wiederzukehren. Wiederkehr ist ein Glücksfall und beweist weder Heroen- noch Fausttum. Gewiss verdient Herrn Jüngers Bekenntnis Beachtung: "Wir Nationalisten wünschen nicht zum zweiten Male mit dem Kapital in einer Front zu stehen"; aber wenn er fortfährt: sein Kreis stünde "auf der Seite des widerstandswilligen Proletariats", "um der Nation, nicht um irgendwelcher humanitärer Beglückungsideen willen", so muss dieser Antibeglücker, dieser ausgesprochene Unmensch gefragt werden, ob denn zu seinem Ideal von Nation gehört, dass ihre Mitglieder glücklos sind. Ich plädiere dafür, dass allgemein aufgehört werde, sadomasochistische Sublimationen als Politik hinzunehmen.
Es erfreut, wenn Paetel ausspricht, dass die "rein haltungsmässige Bejahung des Sozialismus" "auch zu ganz bestimmten politischen Folgerungen" führt, "zu Berührungspunkten mit linksrevolutionärer sozialistischer Jugend" und "zu deutlichen Abgrenzungen gegenüber den politischen Einstellungen des Bürgertums"; man applaudiert, wenn man liest: "Entscheidungen müssen innerhalb der nationalen Jugend zweifellos fallen. Sie werden fallen müssen an der Fragengruppe des Sozialismus" - aber zu dieser "Fragengruppe" gehört auch die Frage des Kriegs. Sie ist, daran gibts kein Rütteln, mit einem prinzipiellen (wenn auch nicht quäkerisch "absoluten") Nein zu beantworten. Von diesem Nein fehlt in Paetels Schriften der Hauch eines auch nur fernen Klangs. Mit der "entschiedenen Ablehnung des liberalistischen Individualismus" wird ja alles Freiheitsstreben des Menschen gedrosselt, das Ewige, Heilige, Prometheische in uns, wird die seit Jahrtausenden unter furchtbaren Opfern vorwärtsschreitende Emanzipation des Individuums gehemmt, wird der Begriff des Kollektivismus über die ökonomisch-strukturelle Sphäre hinaus reaktionär erweitert. Die Freiheit der Ausbeutung aufheben und die Freiheit der Lebensgestaltung herstellen - das ist kein Widerspruch sondern ergänzt sich. In wahrem Sozialismus ist wahrer Liberalismus enthalten, wahrer Individualismus erfüllt. Weil der Manchester-Liberalismus die Freiheit Weniger durch die grausame Unfreiheit der Meisten erkauft - ein Zustand, den die sozialistische Revolution beseitigen will und soll -, darum ist Freiheit (jenseits der Wirtschaft) längst nicht erledigt. Wenn Lenin sie ein bürgerliches Vorurteil gescholten hat, so beweist das vielleicht etwas gegen Lenin und die Zulänglichkeit seines Philosophierens, es beweist nichts gegen die Freiheit. Wir werden uns von dem modernsten Schimpfwort "liberalistisch" nicht ins Bockshorn jagen lassen; wohlgemerkt: als Sozialist sag ich das! Als Sozialist, der weiss, dass Liberalismus ein Doppelgesicht hat; das vordere (kulturelle) bleibt zu liebkosen, auch wenn das hintere (ökonomische) zu züchtigen ist.
Man darf sogar sagen, dass erst die Negation des ökonomischen Liberalismus den kulturellen zur Verwirklichung bringen kann. Erst der Welt-Sozialismus, zum Beispiel, wird den Welt-Frieden schaffen: die Belehnung aller Individuen mit dem Recht auf Leben. Deswegen ists in der Ordnung, wenn - in dem zweiten dieser Bändchen (einer Sammelschrift) - Heinz Gollong seiner Gruppe rät, sich keineswegs zu rühmen, "den Pazifismus überwunden zu haben"; womit er ihm freilich kaum ein Lob erteilen will. Doch er bleibt unüberwindlich! Dass Menschen einander nicht mehr töten sollen: in Ewigkeit sittliches Ziel. Es erkennen und ihm entgegenschreiten - nichts andres ist Pazifismus. Ihr könnt die Träger dieser Idee berennen (ich helfe in manchem Falle); die Idee nicht. Die Idee nicht, ohne euch einer Sünde wider den Geist schuldig zu machen. Gerade ihr müsstet begreifen, dass an der Verewigung des Tötens zu arbeiten irreligiös ist. Ihr müsst also auch aufhören, euer Nationalbewusstsein mit einem "einschränkungslosen Bekenntnis zur Wehrhaftigkeit" zu identifizieren, wie Gollong das leider tut - sonst der feinste Kopf dieses Kreises.
"Wehrhaftigkeit" gegen wen? für wen? für was? ein "einschränkungsloses Bekenntnis"? im Zeitalter des staatlich organisierten Massenmords durch Giftgas und Bakterien? Es liegt wohl Lebensvolles und Schönes darin, mit dem Blut zu denken, mit den Muskeln zu denken, mit den Hoden zu denken; man soll aber, schlag ich vor, nicht ganz darauf verzichten, auch mit dem Gehirn zu denken. (Jüngstes, das ich von Gollong las, beweist, dass gerade er dies vorbildlich kann. Rapide Entwicklung! Übrigens verliess er die Paetelgruppe.)
Ein prachtvolles Wort steht in dem Büchlein: "Ja manchmal will uns scheinen, als hätte die Nation ... weniger wirkliche Werte verloren und mehr wirklich Wertvolles gewonnen, wenn Liebknechts schäumende Heftigkeit und sein Einfluss auf die Massen und das Ausland an leitender Stelle sich hätte auswirken können. Wenn sich der Kern der Intelligenz entschlossen auf seine Seite warf, wenn das Offizierkorps im Antimilitaristen die Kampfesnatur erkannte, hätte sich die chaotische Zeit schnell überwinden und zur Volkserhebung umbilden lassen." Wer solche Sätze druckt, hat nichts mehr gemein mit dem Mordpack, das Jenen fällte.
Ausgezeichnet klar Karl Baumann (linker Flügelmann): "Ablösung der kapitalistischen Ordnung durch den sozialistischen Aufbau. Die Verteidigung dieses Aufbaus mit allen Mitteln nach innen und aussen." Das ist eine eingeschränkte "Wehrhaftigkeit", und zwar eine richtig eingeschränkte. Vorzüglich gedacht auch dies: "NSDAP und KPD heben durch ihren Kampf untereinander ihre Kraft auf. Ihr Kampf gibt dem Bürgerstaat und der Bourgeoisie das Gleichgewicht." (Dieser Baumann soll neuerdings zur KPD abgeschwenkt sein. Gewiss nicht er nur. Auch zu Hitler wird mancher sich inzwischen gerettet haben. Die Fluktuation der Personen besagt nichts gegen den Wert der Gruppe, solange sie in einer Führerpersönlichkeit den ruhenden Pol hat.)
Georg Osten, Rolf Becker, Fred Schmidt - auch sie arbeiten hier an der Herausmeisselung der reinen Dualität der Klassenfronten; obschon Einigen von ihnen der Klassenkampf ganz offenkundig nur Mittel zum Zweck der nationalen Befreiung ist und ihre Verbindung mit dem proletarischen Revolutionarismus mehr einer Verstandes- als einer Liebesheirat gleicht. Scheringer - für dessen Befreiung ich manifestiere, auch wenn ich seine Meinung nicht teile - schrieb am 8. 4. 31 an den Generalleutnant Dieterich: "Es gilt, die revolutionären Kräfte des Volkes zu sammeln, die Armee der Arbeiter, Bauern und Soldaten zu formieren und den Befreiungskrieg über die Trümmer der Weimarer Republik nach Westen zu tragen." Dies Bekenntnis eines Kommunisten geht, was seinen Gehalt an offensivem Nationalbellizismus anlangt, immerhin erheblich hinaus über die saftigsten Sätze des Paetelbreviers.
Dieses (abgerechnet die Schwafler und Glibberer: F. Wulf, Alwiss Rosenberg) bleibt die Kundgebung redlichen Ringens jugendhaft-feuriger, jugendhaft-ernster Naturen ... um den rechten Weg, nämlich den linken.
All das ist noch unfertig, wird noch, wächst noch. Unsereiner soll da, scheint mir, ohne Hochmut helfen; soll an Menschen, die selber zu denken gewohnt und, im Gegensatz zu den Marxklerikern, den Gedanken Andrer geöffnet sind, keine gebosselten Dogmen herantragen: friss, Paetel, oder stirb! Nein, so nicht; sondern: (ohne Kompromiss) in Kameradschaft diskutieren. Befürworte ich eine irenische Aufweichung unsres Kämpferknochengerüstes? Wers glaubt, wird selig. Aber von Zeit zu Zeit empfiehlt sich, allerseits, eine Revision der Riten. Und man vergesse nie, zu forschen: wo steckt im Gegner der Freund? Ich fühle mich Jedem brüderlich verbunden, der sich als rein, wahrhaftig, unabhängig, unbestechlich, als Diener am Geiste erweist; der aufrecht, doch unstarr schreitet, weil er an keine versteinerte Doktrin gefesselt ist; der den Klassenkampf auf der Seite der unterdrückten Klasse kämpft, vielmehr diese Klasse aus ihrer Zerklüftung zur Einheit, zu wirklichem Kampfe, zum Siege zu erlösen strebt; der aber weiss, dass der Prolet noch andres ist als Prolet, dass es heilige Ziele gibt noch jenseits des Klassenkampfs.
Kurt Hiller [Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft; 28. Jahrgang, Nr. 31, 2.August 1932, S.153-158].
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