Wednesday, October 22, 2008

Kräfteverschwendung

Ein besonderes Wort muss an die "Radikalen" des nationalistischen Wollens gerichtet werden: die Methode "Alles oder Nichts" ist der Tod jedes politischen Erfolges. Radikalität der Gesinnung ist gut. Radikalistische Prinzipienreiterei und Zurückhaltung von der Zusammenarbeit mit den Weniger-Radikalen, den "Unklaren", den "Kompromisslern" ist politische Torheit und führt zur Selbstausschaltung. Die Bolschewisten haben vor der russischen Revolution in gemeinsamer Front mit den Menschewisten gestanden und erst nach dem Siege den Streit um die Herrschaft ausgetragen. Bei uns hält man es für notwendig, um das Fell das Bären zu streiten, bevor er erlegt wurde.

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Es scheint uns gerade das Charakteristikum der nationalen Verbände zu sein, dass die meisten ihrer Anhänger, und nicht die schlechtesten, in erster Linie novarum rerum cupidi sind, zu deutsch Leute, die die gegenwärtigen Verhältnisse ändern wollen, ohne von den "neuen Dingen" allzu konkrete Vorstellungen zu haben. Auch unter den Führer ist die Zahl derer, die bewusst reaktionäre Ziele verfolgen, in keinem Falle grösser als die Zahl der bewussten Nationalisten. Mit jenen den Kampf um die Gestaltung des Staates aufzunehmen, wird dann an der Zeit sein, wenn der uns allen gemeinsame Gegner geschlagen sein wird. Ihn vorher zu entfesseln, würde die Vernichtung aller Erfolgsmöglichkeiten bedeuten. Es ist durchaus möglich, dass wir zu einem siegreichen Stahlhelm in schärfster Opposition stehen würden (es gibt Leute unter uns, die nach Charakter und Temperament nur Opposition sein können). Solange die gesamte nationale Bewegung noch in einflussloser Opposition steht, ist jeder Kampf untereinander unsinnige Kräfteverschwendung.

W. K. [Gewissen, Jahrgang 10, Nummer 52, 22. Dezember 1928]

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