Jedenfalls ist der Glaube des Bürgers, der führende Mann in der Demokratie zu sein und zu bleiben, in Nichts zerronnen. Mit dem Gestaltwandel des Kapitalismus wandelt sich auch der Nationalstaat zunächst in einen anonymen Staat, in dem es Bürger im alten Sinne nicht mehr geben kann. Bestimmte Freiheitsrechte und Freiheiten, die der Bürger im 19. Jahrhundert als Grenzpfähle gegenüber den Ansprüchen der Macht errichtet hatte, sind im Zeitalter des Massenstaates morsch geworden. Der Bürger hat in seiner Spätzeit auch politisch die überkommenen Voraussetzungen für seine Fortexistenz zerstört, indem er zu allen Konzessionen bereit war gegenüber der gestaltlosen Gesamtheit des gesellschaftlichen Massenwesens und der anonymen Macht des Kollektivs, wie Staat, Trust und Gewerkschaft. Die für die ursprüngliche bürgerliche Welt in ihrer grossen Zeit massgebenden Glaubensinhalte und Lebensdeutungen, ethischen Grundsätze und kulturellen Werte waren gegen Ende des 19. Jahrhunderts nur mehr von dekorativer Geltung und sind im 20. Jahrhundert vollends eingeebnet worden.
Emil H. Maurer, Der Spätbürger. Bern und München 1963.
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