Thursday, October 22, 2009

Ein Volk der Parteien

Die Gläubigkeit an die Wunder der politischen Systeme ist erschüttert und die Heilpropaganda der parlamentarischen Parteien ist verbraucht. Der Staat ist zu einem leeren Mechanismus geworden, den zu erobern solange noch keinen Wechsel unserer Nöte bedeuten würde, als die Eroberer ihm keine neue Seele und Bindung zu geben vermöchten. Denn ein Staat, der alle versorgen möchte und allen nur schuldig bleibt, ist der unfrachtbaren Psychologie der Grossstadt erlegen und weiss mit seinen Menschen nichts mehr anzufangen, als ihren Vermassungen nachzugeben.

Doch kann kein Volk solche Wirtschaft auf Dauer ertragen, und wird sich, wenn Systeme und Parteien versagen, nach anderen Ansätzen seines politischen Willens umsehen, die seiner Gesundung entgegenkommen. Das wird sich dann gewöhnlich durch Bewegungen ausdrücken, die entweder alles bezweifeln und sogar mit der Gegenwart Schluss machen oder das Ewige zwischen Vergangenheit und Zukunft zum Mittler wählen.

Wir sind nach aussen zwar noch immer ein Volk der Parteien geblieben, aber wir sind von innen schon lange ein Volk der Bewegungen geworden, und sollten das auch ohne die Zunahme des Radikalismus auf den parlamentarischen Flügeln unserer Parteien von uns wissen. Aber Bewegungen, die nichts als Bewegung wollen, haben auch ihre grossen Gefahren; denn sie fördern zwar die Auflösung des Alten, aber sie pflegen häufig genug in den Protesten stecken zu bleiben und finden dann nicht mehr zu einer befreienden Gestalt.

Hans Schwarz, Vorwort zu: Wolf Christian von Harling, Der Kampf um Preussen (Die preussische Reform), Schriftenreihe des Nahen Ostens, Berlin 1931.

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