Man hört heute oft das Wort vom Sterben des Geistes. Die Presseverbote, die die Regierung durchführt, die strengeren Vorschriften für die freie Meinungsäusserung und die stärkere Gebundenheit des geistigen Lebens rufen bei vielen intellektuellen Menschen eine Art von Panikstimmung hervor, die an sich ziemlich unbegründet ist. Es ist richtig, dass wir aus einer Zeit ungebundener und zügelloser Freiheit kommen, aber diese Freiheit hat in viel stärkerem Masse zum Verfall des Geistes geführt, als seine heutige Beschränkung.
Bis auf welchen Tiefstand ist das geistige Leben in den letzten Jahrzehnten heruntergekommen! Der Typus der Halbintelligenz ist zum beherrschenden Typ unserer Zeit geworden. Es bestand keine Veranlassung mehr, gut zu denken und anständig zu schreiben, und es bestand wenig Neigung dazu, das Gedachte und Geschriebene bescheiden zu lesen. Es wurde alles grob aufgetragen und grob verschlungen. Die Sensation und die Spannung hatten sich des gesprochenen und geschriebenen Wortes bemächtigt.
Wenn der Geist heute langsam unter die Schraube der Kontrolle gesetzt wird, so ist das für ihn selber am dienlichsten. Denn es muss sich nun zeigen, was wirklich Geist an ihm ist, und was lediglich Schaum und Rauch war. Was echt und notwendig in ihm ist und durch keine noch so strenge Zensur zu verbieten ist, und was nicht notwendig ist und infolgedessen hilflos zusammenbricht. Diese Frage nach dem Geist ist heute eine Frage nach den Reserven, den Kenntnissen und dem Wissen, über die ein Jeder verfügt. Da aktuelle politische Dinge diffizil und schwer zu behandeln sind, wird man vielleicht zurückgreifen müssen auf die Historie. Das die Politik des Tages bestimmt heikel ist, wird man die sachlichen Probleme schärfer in den Vordergrund rücken müssen. Dazu gehört aber als Voraussetzung, dass man selber einen bestimmten Fundus besitzt. Wer daran zugrundegeht, dass er zu bestimmten Ereignissen des Tages nichts mehr sagen darf, der hat überhaupt nie das Recht besessen, zu diesen Dingen Stellung zu nehmen.
Es ist für den Geist ganz gleichgültig, von wem die Kontrolle über ihn ausgeübt wird. Es wird immer die Macht sein, die ihn unter die Schraube nimmt. Und Macht bleibt immer Macht. Nur die Macht aber zwingt ihn dazu, sich mit sich selber bis zur letzten Konsequenz auseinanderzusetzen und tiefer zu schürfen, als die Macht reicht.
Die besten und tiefsten Gedanken der Menschheit sind selten in der Freiheit gedacht worden, sie sind meistens in der Unterdrückung entstanden. Es ist kein Grund zur Panik vorhanden. Es geht nur darum, dass wieder wirklich gedacht, geschrieben und gelesen wird.
Die Tat, 25. Jahrgang, Heft 1, April 1933, Eugen Diederichs, Jena, S. 88 – 89.
Thursday, October 22, 2009
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