Ich war strafweise in eine Zeit versetzt, die es in sich hatte, so lächerlich zu sein, dass sie keine Ahnung mehr hatte von ihrer Lächerlichkeit. Zuerst liess sie sich mir so an, als ob ihr mit der Abbildung dieses Zustands gedient wäre; als ob zur Darstellung ihrer Wirklichkeit die Reproduktion ausreichte und diese die Satire ergäbe.
Sie zu schreiben, war schwerer geworden, da die Wirklichkeit mit ihr bis an den Rand kongruent schien und nur von dem, der sie zu sehen und zu hören verstand, zitiert zu werden brauchte. Das aber war nur scheinbar leichter, denn mit der Möglichkeit, die Zeit abzuschreiben, stand der Satiriker doch vor der Schwierigkeit, die Satire zu schreiben. So wurde ich der Schöpfer des Zitats, im Wesentlichen nicht mehr als das, wenngleich ich den Anteil der Sprachgestaltung auch an der Abschrift der Zeit nicht verkleinert sehen möchte. Die Sprachkunst besteht da in der Weglassung der Anführungszeichen, in dem Plagiat an der tauglichen Tatsache, in dem Griff, der ihren Ausschnitt zum Kunstwerk verwandelt. Dies etwa war der geistige Stand vor jenem grundstürzenden Ereignis, als eine erstarrte Menschheit im Bann des mechanisierten Denkens und im Widerstand eines Rests von Natur dahin gelangte, sich ihr Blut durch dessen Verlust zu beweisen. Noch von dieser Blutprobe: wie das Leben sich nicht anders gegen die Maschine wehren konnte, als indem es, sie gegen sich kehrend, in sie hineinlief, und wie die führende Phantasiearmut solchem Verhängnis den Lauf liess, habe ich ein grosses Zitat überliefert.
Karl Kraus, Im dreissigsten Kriegsjahr. Gesprochen in der 300. Wiener Vorlesung am 30. November 1928. In: Die Fackel. Nr. 800 - 805.
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