Friday, February 19, 2010

Ein Phänomen von Antipolitik

Schon am Beginn war leicht zu begreifen, dass wir eine innere Dynamik in Gang setzten, die völlig autonom war. Seit 1972 war die linke Bewegung schwächer geworden, der Rückschlag setzte ein und viele vorher offene Türen waren nun verschlossen. Ich glaube, dass dies in der RAF zu einer Hassreaktion führte. Da sie überzeugt waren, das Richtige zu tun, haben sie wahrscheinlich geglaubt, dass diejenigen, die nicht ebenso handelten, sich zurückzögen, weil sie vor den praktischen Konsequenzen ihrer eigenen Ideen zurückschreckten. So wurde nach und nach neben dem Imperialismus auch die "feige Linke" zum Feind, die die Revolution wollte, ohne die damit verbundenen Risiken einzugehen. Diese Linken waren also auch "Schweine" wie die anderen. Sie mussten ignoriert werden, mit ihnen diskutierte man nicht mehr, ihnen hörte man nicht mehr zu. Und wenn die Rechten ihnen ihre "Gärtchen" wegnahmen - ihre Demokratie - wenn ging es was an? Viele junge Leute der, wie wir sagen, dritten Generation haben auf diese Weise mit der RAF zu sympathisieren angefangen. Auf der einen Seite sahen sie in Deutschland den Mangel an Initiative auf der Linken, auf der anderen Seite die Notwendigkeit einer Entscheidung. Von da rührt ihre Identifikation mit den Eingekerkerten und ihre Verachtung für die "Demokraten".

Und inzwischen verkörperte die RAF überhaupt kein gesellschaftliches Interesse mehr, sie repräsentierte nur noch sich selbst. Und in ihren Sympathisanten produzierte sie ein analoges Phänomen von "Antipolitik" und in vielen das Abdriften in Kriminalität, Drogen und Selbstmord, eine Tendenz zurVerachtung des Lebens anderer, wie des eigenen. Ich glaube, dass auch die 16 als Terroristen Gesuchten dies im Kopf haben: das Leben hat keinen Sinn, der einzige Sinn, den es haben kann, ist "dass ich ein Schwein töte". Alles was geschen ist, ist sehr gravierend. Weil es den Hebel darstellt, mit dem die Reaktion heute nach und nach die demokratischen Freiheiten abschafft. Die Kapitalisten wissen, dass die Krise lange dauern wird, dass sie nicht mehr so leicht mit dem Konsens regieren können und dass das parlamentarische System nicht mehr ausreicht, um die Gesellschaft zu kontrollieren; und deswegen bereiten sie das Terrain vor, indem sie sich der RAF bedienen.

Horst Mahler, "Die dürfen nicht zu Heroen werden". Interview in: Konkret. Die Monatszeitschrift für Politik und Kultur, Januar 1978.

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